Lesetipp von Sylvia Schmieder: In Wahrheit eine/ganz und gar unpathetische Ruhe. Zu Jakob Leiners Gedichtband „Gewetter“.

Der 1992 geborene Arzt und Lyriker Jakob Leiner hat mit „Gewetter“ seinen vierten Gedichtband vorgelegt. Diesmal sind es lyrische Notizen zu Reisen, überschrieben schlicht und sachlich mit Datum, Ort und Uhrzeit – etwas wie ein poetisches Tagebuch also, aus Orten quer durch Europa, darunter auch aus der Freiburger Regio. Das Thema in Variationen: Mensch und Natur(-zerstörung). Da gibt es Berichte zu Wanderungen mit so unprätentiösen wie treffenden Versen wie Was dieser Tag gebracht hat/in der Tasche/5 Steine/in Wahrheit eine/ganz und gar unpathetische Ruhe. Auch leichte, verspielte, humorvolle Gedichte wie die über den Schwarm der Störche, die „in sorgsamer Spirale“ steigen, um dann zusammen wieder zu fallen aus bleierner Luft. rum/wa fragt sich der mit ihnen fallende Beobachter, um sich selbst zu antworten: irgendwas mit dem Wetter/muss es sein. Andererseits bleibe ich an intellektuell-spröden Versen hängen, wissenschaftlichen Fachbegriffen, assoziativ Verrätseltem, das mir die Lesefreude nimmt, weil ich den Verdacht nicht loswerde, dass es sich bedeutsamer gibt, als es ist. Warum es sich für mich unbedingt gelohnt hat, dranzubleiben? Wegen dieser speziellen Mischung aus trockener Ironie und sinnlicher Begeisterung, wegen Versen wie diesen über das „Castello di Duino, bei Trieste“:
unter donnernder Bläue/Gellen des obersten Reihers/der sich in die Adria stürzt/hier wird es begrüßt/von Engeln zu reden/wie ein Licht das alle/Helligkeiten trägt/als altes Flüstern/fortgetragen/die Adern voll Dasein. (…) aber bitte/nicht so stürmisch.

Jakob Leiner, Gewetter. Gedichte. Qintus-Verlag Berlin, 2022, 18 €.

Eine Rezension der Buchbloggerin #xlcoffeequeen zu „Saling aus dem Wald“

Wie wäre es, wenn man direkt mit der Natur sprechen könnte?Würden Mensch u.Natur sich überhaupt noch verstehen?

In ihrem Roman verwandelt @sylvia_schmieder diese Gedanken in einen märchenhaft anmutenden Prosatext. Sie erfindet Saling, ein zauberhaftes Naturwesen, einen liebenswerten Gestaltwandler, der von Neugier getrieben den Weg in die Menschenwelt wagt.
Schmieder verzaubert ab dem ersten Satz. Ihre Prosa ist lautmalerisch perfekt komponiert. Ihre Beschreibungen lassen die Natur wie eine phantastische Szenerie erscheinen. Eine fremde magische Welt, in der alles lebt, alles atmet. Ein völlig intaktes in sich geschlossenes System, ohne Menschen.

Saling ist eine Figur, die sich leicht in die Herzen schreibt. Nie geht von ihm eine Bedrohung aus. Sein Tun ist völlig absichtslos. Ihn trägt kein menschliches Sendungsbewußtsein.Die einzige Weisheit, die er in sich trägt, ist die Natur selbst.

Schmieder lässt ihn exemplarisch auf verschienene Personen treffen.Doch die Menschen begreifen Saling nicht oder interpretieren ihn falsch. Das führt zu Missverständnissen. Man reagiert mit falschen Erwartungen, Ängsten, Sensationslust u. Profitgier. Einzig der Kontakt zum Mädchen Mascha lässt – dank deren kindlicher Unvoreingenommenheit  – ein Gefühl der Nähe entstehen.

Die Botschaft Schmieders ist unmissverständlich: Nicht Saling ist der Fremde, der nicht in die Welt passt. Es ist der Mensch, der sich längst der eigenen Welt entfremdet hat.Der Mensch ist für sich selbst zur größten Gefahr geworden.

Ihrer Zivilisationskrikitk stellt die Autorin einen deutlichen Natur-Optimismus zur Seite. Sprachgewaltig erweckt Schmieder die Natur zum Leben. Die belebte Welt ist dabei mehr als nur zeitlos schöne Kulisse für die archaische Hauptfigur. Sie ist Ausgangs- und Endpunkt, nicht nur im Sinne der erzählten Geschichte. Und da sie die Zeit auf ihrer Seite hat, ist sie am Ende immer die Überlebende.
Die Natur braucht den Menschen nicht. Sie wird auch ohne ihn bestehen.
Danke @edition_federleicht
Große Lese-Empfehlung!

Das neue YouTube-Projekt „das tagesgedicht“ sendet Lyricclips mit Witz und Eigensinn. Mitmachen erwünscht.

In und um Freiburg hat sich eine kleine Gruppe von Lesenden und Schreibenden zusammengetan und ein überregionales YouTube-Projekt für Lyrik und Kürzesttexte ins Leben gerufen. Unter dem Stichwort das tagesgedicht findet man Lyricclips mit Witz und Eigensinn, die sich kostenfrei abonnieren lassen. Wer Interesse hat, dort selbst einen Clip zu veröffentlichen, wendet sich per E-Mail an patrik.schulz@zone1001.de. Für die Aufnahmen der Gedichte/Texte ist jede*r Autor*in selbst verantwortlich. Für Schnitt, Upload und Sendemanagement wird eine kleine Aufwandsentschädigung fällig.
Der direkte Link zum tagesgedicht: https://www.youtube.com/@dastagesgedicht-qb2dt

Lesung mit Heide Jahnke: am 2.5., 18 Uhr, in Kirchzarten.

Lesung mit Musik:

Stadt Land WaldWorte für Orte

im Café con Dios
Evang. Gemeindezentrum Kirchzarten
Schauinslandstr. 8, 79199 Kirchzarten

Lyrik und Prosa von Heide Jahnke und Sylvia Schmieder. Musik von Christoph Haarmann.

– Eintritt frei –

Heide Jahnke liest aus ihren Gedichtbänden von diesem impertinenten grün, fliegen oder bleiben (beide Janzen Verlag)und Des Käfers Menetekel (Drey Verlag). Ich selbst aus dem Roman Saling aus dem Wald und aus den Freiburg Meditationen, beide edition federleicht.