Noch eine großartige Rezension von „zusammen bleiben“, diesmal von der Buchhändlerin Ingrid Menzel. Sie schreibt auf LovelyBooks:

Eine Familie in den Wirren des Krieges und im Ringen um ihren Zusammenhalt, auch im Leben danach…

Kurzmeinung: Ein tiefgründiges und lebendiges Portrait einer Familie während des 2. Weltkrieges und der Nachkriegszeit

Sylvia Schmieder, Jahrgang 1966, studierte Germanistik, Musikwissenschaft und Philosophie in Freiburg/Breisgau, wo sie auch heute lebt. Es ist ihr zweiter Roman, den sie uns hier vorlegt, ein Roman, den man nicht so einfach „verschlingt“, sondern der sich eher als Reise durch ein wunderbar literarisch-poetisches Kunstwerk versteht.

Wir werden durch zwei Zeitebenen geführt, in zwei Erzählsträngen, die miteinander verbunden sind Dabei geht es um zwei Frauenfiguren, Mari und Claudia, jede in ihrer eigenen Welt, mit ihren eigenen Bezügen zur Realität, jede zu ihrer Zeit.. Man spürt den Sog, dass sie was miteinander zu tun haben, ahnt es vielleicht auch schon, in welcher Weise, und lässt sich schließlich darauf ein, des Rätsel lösen zu wollen…

Claudia erlebt die 70er Jahre erst als kleines Mädchen, dann als ziemlich unglücklicher Teenager, der zu Hause bei den Eltern nicht gehört und gesehen wird, und versucht, durch Tagebuchschreiben mit sich selbst klarzukommen. Ihre beste Freundin stirbt in einer kritischen Phase ihres Lebens, wodurch sie einen festen Halt in ihrem Leben verliert. Ein Sehnsuchtsort ist für sie das Haus ihrer Großeltern, wo die Großmutter eine Schlüsselrolle spielt. Oft kommen dort Familie und Verwandte zusammen, die Claudia zwar nicht alle geheuer sind, aber die ihr auch ein Stück Sicherheit geben.

Mit Mari, der Hauptprotagonistin des Romans, werden wir in die vierziger Jahre zurückversetzt. Sie stammt aus dem Dreiländereck Österreich-Ungarn-Slowakei und ist ihrem Mann Ludwig 1939 nach Deutschland gefolgt, in Gedanken aber in der Heimat geblieben. Ludwig ist sehr zielstrebig und hat in Frankfurt eine Hausschuhfabrik aufgebaut. Der Krieg rückt näher, die NS-Ideologie überrennt das Land, und die Fabrik steht fast voe dem Aus, weil dort ja kein Kriegsmaterial hergestellt wird. So meldet sich Ludwig als Freiwilliger bei der Waffen-SS , fest davon überzeugt, mit bestem Wissen und Gewissen alles für Deutschland getan zu haben, was in seiner Macht steht. Schon nach kurzer Zeit wird er verpflichtet und muss an die verschiedensten Schauplätze einrücken, erst als Kurier und Berichterstatter, später wohl auch an der Front. Mari steht dem Ganzen entsetzt gegenüber und bleibt mit den Kindern allein. Ihre Erfahrungen – allein mit dem Halbwissen über den Krieg mit all seinen Begleiterscheinungen – machen sie fassungslos. Die Lage spitzt sich zu, die Schrecken werden größer. Aufgrund einer unliebsamen Entdeckung fühlt Mari sich auch nicht mehr sicher in ihrer Ehe, eher bodenlos und alleingelassen, und denkt daran, ihren Mann zu verlassen. Zuerst die Flucht in den Wald, zwecks innerer Suche nach sich selbst….Dann plant sie die Flucht nach vorne: – die Rückkehr in ihre Heimat Slowakei. Unter größten Hindernissen flieht sie mit ihren Kindern zu ihre Verwandten. Einen Ruhepol findet sie dort nicht, denn der Krieg wütet auch dort inzwischen mit aller Macht , auch auf der Straße: deutsche Wehrmacht gegen deutschfeindliche Kräfte. Also geht die Flucht mit den Kindern wieder zurück nach Frankfurt. Mari weiß, dass sie nur dort mit Ludwig und der Familie eine Zukunft hat, eine Entscheidung, die wohl einfach passiert ist unter dem Druck der Ereignisse… . In Frankfurt erwartet sie Bombenhagel, das Haus ist zwar halb zerstört, bietet aber trotzdem noch Wohnraum, bis Fremde und Alliierte durch die Straßen und Gärten ziehen und alles für sich beschlagnahmen und plündern, was sie ergattern können. Der Krieg scheint bald zu Ende zu gehen, es sind die letzten wütenden Zuckungen…

Mari kämpft für ihr Haus, den Wiederaufbau ihres Lebensraumes, für die Rückkehr von Ludwig und für die Befreiung ihres Bruders aus dem Lager in Mauthausen… Sie ist diejenige, die alles zusammenhält und ihrer Familie generationsübergreifend den Raum gibt, sich wieder zu begegnen und einen Neuanfang zu wagen. Nicht einfach, wo jeder mit seinen Traumata zu kämpfen hat, unverarbeitete Traumata als eine Dimension, die es den nachfolgenden Generationen so schwer macht, das Thema Krieg zu verarbeiten, zu verstehen und Schlüsse für das eigene Leben zu ziehen …. wo das Schweigen den größten Raum einnimmt und Frust und Zukunftsängste in heftige Wutausbrüche ausarten. Auch Claudia kommt wieder mit ins Spiel, wie sie Zuflucht nimmt bei der Großmutter Mari. Sie erlebt die Erwachsenen in ihren Emotionen, weiß letztendlich nicht, was diese antreibt zu ihren Ausbrüchen und Verhaltensweisen und versucht sich in einer Welt dazwischen auszuleben.

Das letzte Kapitel erscheint mir wie eine Metapher für die Existenzbedingungen der Menschheit. Benannte Perlen stehen hier möglicherweise für die Ressourcen der Länder , mit denen man sorgfältig und friedfertig umgehen muss. Auch wenn Feindseligkeiten zwischen den Menschen entstehen… „immer ein bisschen hinter die Tür gucken, wo das Leben verborgen ist….“ „Man soll eben niemals den Mut verlieren, immer findet man etwas Schönes und Gutes, Du musst es nur suchen und herausbuddeln, wo es sich verborgen hat“, so die Autorin.

Sylvia Schmieder gelingt es in diesem Roman, sensibel mit den Charakteren umzugehen, ohne diese zu bewerten bzw. in Gut und Böse aufzuteilen. Sie ist die Beobachtende, humanistisch und empathisch, wie sie sich in die Menschen hineinversetzt und versucht, sie zu verstehen, egal, in welche Richtung sie gehen und von welchen Emotionen sie getrieben werden. Sie schreibt in wunderbar farbigen Bildern: – Menschen und Situationen werden transparent , dort, wo sich Abgründe auftun und jeder um sein physisches, psychisches und soziales Überleben kämpfen muss. Ihre tiefgründige , und trotzdem so anschauliche Sprache erinnert mich an die jüdische Politologin und Philosophin Hannah Arendt (1906 bis 1975), die in ihrem autobiographischen Werk „Ich will verstehen“ etwas zum Ausdruck gebracht hat., woran sich auch der rote Faden dieses Romans bewegt: – nämlich das Verstehen im Sinne einer Suche zu begreifen, mit Beobachtungsgabe und Achtsamkeit die Hintergründe zu durchschauen und zu analysieren, die Dinge von allen Seiten ins Visier zu nehmen und sie so zu sehen, wie sie sind, ohne ihnen zu viel Bewertung beizumessen… Und ich glaube, eine solche Herangehensweise ist der Autorin tatsächlich gelungen und macht den Roman zu einem spannenden , vielschichtigen Zeitdokument. … gerade auch für die heutige Zeit, wo die Kriegsbereitschaft wieder so in den Vordergrund rückt.

In diesem Sinne ist der Roman absolut empfehlenswert!